Weimarer Republik (1918/19–1933)
Aufbruchstimmung in Deutschland, aber nicht alle ziehen mit. Während manche Zeitgenossen die Weimarer Republik als „demokratischste Demokratie“ feiern, wollen andere die Uhren zurückdrehen. Die tiefe Spaltung der Gesellschaft setzt die junge Demokratie unter Druck.
Im Oktober 1918 ist die Niederlage im Ersten Weltkrieg für das Kaiserreich nicht mehr abzuwenden. Erst meutern Matrosen und Soldaten. Bald schließen sich breite Bevölkerungsschichten den Protesten an. Mit der Abdankung von Kaiser Wilhelm II., der Ernennung von Friedrich Ebert zum Reichskanzler und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann am 9. November 1918 erreicht die Novemberrevolution ihren Höhepunkt. Am 19. Januar 1919 wird die Nationalversammlung gewählt, die ersten wirklich demokratischen Wahlen Deutschlands. Frauen wählen gleichberechtigt mit, die Wahl ist geheim und jede Stimme zählt gleich viel.
Die Weimarer Republik ist die erste parlamentarische Demokratie in ganz Deutschland. Ihre Verfassung garantiert umfangreiche Grund- und Freiheitsrechte und verbindet parlamentarische, präsidiale und direktdemokratische Elemente.
Die Republik entsteht in einer Zeit des Auf- und Umbruchs in der deutschen Geschichte, einem Laboratorium der Moderne in Politik, Gesellschaft, Kunst, Kultur und Wissenschaft. Die „neue Frau“ emanzipiert sich in Beruf und Kultur und stellt überkommene Geschlechterrollen infrage. Radio und Tonfilm revolutionieren die Informations- und Unterhaltungslandschaft.
Gleichzeitig führen schwere Wirtschaftskrisen zu hoher Arbeitslosigkeit und Armut. Der fortschrittliche Sozialstaat – zum Beispiel die Anerkennung und erfolgreiche Arbeit der Gewerkschaften und die 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung – kann diese Lasten nur zum Teil ausgleichen. Hinzu kommt, dass rechte Kreise in der sogenannten „Dolchstoßlegende“ der Republik und nicht dem Kaiserreich die Schuld an der Niederlage zuschreiben. Von Anfang an versuchen daher die Feinde der Demokratie von links, vor allem aber von rechts immer wieder die Republik zu stürzen.
Trotzdem kann sich die junge Demokratie im Verlauf der 1920er Jahre stabilisieren. Erst danach gelingt es den antidemokratischen Bewegungen, die Republik weiter auszuhöhlen und bis 1933 endgültig zu zerstören. Die Weimarer Republik zerbricht an den tiefen politischen Spaltungen der Gesellschaft, der miserablen Wirtschaftslage, den konservativen Eliten – aber auch an der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die 1932/33 ihre Stimme für die Feinde der Republik abgeben. Ihr Scheitern hat dramatische Folgen. 1933 errichtet der neue Reichskanzler und „Führer“ Adolf Hitler eine totalitäre Diktatur.
Grundrechte
Die Weimarer Republik bringt Grund- und Freiheitsrechte für die deutsche Bevölkerung. Auch ein demokratisches Wahlrecht gehört dazu. Die erste Wahl der Republik am 19. Januar 1919 ist für viele ein Symbol für den Aufbruch Deutschlands in eine Zeit von Demokratie und Frieden. Die Weimarer Verfassung schreibt die gesetzliche Gleichstellung aller Menschen, Freiheit der Person, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und das Briefgeheimnis fest. Diese Rechte sind aber nicht in Stein gemeißelt. Um einige, wie die Pressefreiheit, streitet die Gesellschaft in den folgenden Jahren immer wieder.
Parlamentarische Demokratie
Mit der Weimarer Verfassung ändert sich das politische System grundlegend: Wahlen, Parlament und öffentliche politische Debatten kennen die Deutschen schon aus dem Kaiserreich. Doch erst in der Weimarer Republik erhalten die Parteien im Reichstag wirklich politische Macht und Verantwortung. Statt dass die Regierung vom Kaiser ernannt wird, stellen jetzt die Parteien selbst die Regierung. Um zu regieren, müssen sie mit anderen oft mehreren Parteien Koalitionen bilden. Kompromisse zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen und Forderungen sind oft nicht leicht zu finden. Dabei sind im Reichstag auch Parteien vertreten, die die Republik wieder abschaffen wollen.
Frauenrechte und Emanzipation
Mit dem Frauenwahlrecht – schon bei den Wahlen 1919 – und der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter in der Weimarer Verfassung erreicht die Frauenbewegung entscheidende Ziele. Der Wandel der Geschlechterordnung erfährt auch insgesamt breitere Wahrnehmung und Anerkennung. Viele wichtige Frauen treten auf die Bühne von Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur. Unter diesen Vorzeichen entsteht das Idealbild der „Neuen Frau“: Sie trägt Bubikopf und kurze Kleider, ist selbstbewusst, eigenständig und sie arbeitet – vor allem als Sekretärin oder Schreibhilfe, aber auch in Friseursalons, Schneidereien oder Fotoateliers. Doch für die meisten Frauen endet das Berufsleben mit der Heirat. Ihre sozialen, ökonomischen und politischen Möglichkeiten bleiben begrenzt.
Sozialstaat und Wohlfahrt
Die Weimarer Verfassung rechtfertigt sich auch dadurch, dass sie die Abschaffung politischer Ungerechtigkeit durch soziale Rechte ergänzt: Jeder und jede Deutsche erhält einen gesetzlichen Anspruch auf Kranken-, Arbeitslosen- und Altersversicherung. Fundament für diese Reformen ist die Sozialgesetzgebung aus dem 19. Jahrhundert. Der Staat versteht sich als Beschützer der Schwachen. Witwen, Waisen oder Kriegsbeschädigte erhalten Unterstützung. In diesem sozialen Netz finden auch nichtstaatliche Wohlfahrtsorganisationen einen neuen Platz. Der Acht-Stunden-Tag wird durchgesetzt – ein großer Sieg für die Arbeiterbewegung – und Kinderarbeit verboten. Ende der 1920er Jahre verringert der Staat in der Wirtschaftskrise die Sozialleistungen.
Neue Medien und Publizistik
Mit neuen Freiheitsrechten wird die Weimarer Republik auch zum Experimentierfeld für neue Medien und Formen gesellschaftlicher Kommunikation – in neuen Verhältnissen und Vermischungen zwischen Information, Unterhaltung, Werbung und Propaganda. Radio und Film entwickeln sich von technischen Neuheiten zu Massenmedien. Vor allem das Kino wird zur liebsten Freizeitbeschäftigung und bringt glamouröse Stars wie Marlene Dietrich hervor. Doch auch Zeitungen und Zeitschriften boomen – manche von ihnen erscheinen mehrmals täglich – und besonders der Bildjournalismus erfreut sich großer Beliebtheit. Während in der Weimarer Politik viele die neuen Medien noch wenig für sich zu nutzen wissen, setzt die Propaganda der NSDAP stark und erfolgreich auf die Macht von Bildern und Klängen.
Kampf um Demokratie
Im Streit darum, wohin es mit Deutschland nach der Revolution gehen soll, gerät die gerade erkämpfte Demokratie selbst in Gefahr. Nicht wenige fordern eine Rückkehr in die Monarchie oder eine kommunistische Revolution. Links- und rechtsextreme Republikgegner liefern sich Saal- und Straßenschlachten, es gibt Putschversuche und politische Morde. Dagegen stellen sich die Initiativen zur Verteidigung der Republik. 1924 gründet sich mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold eine Schutzorganisation aus den Parteien der Weimarer Koalition für die Demokratie. Gesetze wie das Republikschutzgesetz sollen die Demokratie vor ihren Feinden bewahren.