Die Alliierten und das Grundgesetz

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Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Seine Bedeutung für die deutsche Gesellschaft ist auch nach 75 Jahren unbestritten – damals unter Ausschluss der Menschen in der sowjetischen Besatzungszone und im Saarland, heute für alle Deutschen. Angestoßen wurde dieser Prozess von den Besatzungsmächten und von den ab 1946 gegründeten Ländern in den westlichen Besatzungszonen. Vom Hauptquartier der US-Streitkräfte im IG-Farbenhaus initiierten und begleiteten die Alliierten die Neustrukturierung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Am 12. Mai 1949 genehmigten die Militärgouverneure Lucius D. Clay (USA), Sir Brian H. Robertson (GB) und Pierre Koenig (Frankreich) das Grundgesetz im IG-Farbenhaus. Sie spielten eine entscheidende Rolle bei der Errichtung eines freiheitlichen, demokratischen und sozialen Bundesstaates.

Das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland im ehemaligen IG-Farbenhaus in
Frankfurt, Frühjahr 1949.

Der Weg zum ersten Grundgesetzentwurf

Bereits ganz am Anfang gaben die westlichen Besatzungsmächte die entscheidenden Impulse. Mit den „Frankfurter Dokumenten“ beauftragten sie die westdeutschen Ministerpräsidenten im März 1948, eine verfassungsgebende Versammlung zur Konstituierung eines Weststaats einzuberufen.

Konferenzen auf dem Rittersturz und in Niederwald

Vom 8. bis 10. Juli 1948 berieten die Ministerpräsidenten der westlichen Länder und die kommissarische Bürgermeisterin von Berlin die Frankfurter Dokumente im Hotel Rittersturz. Zentral war dabei das Problem, die faktisch bereits vollzogenen Teilung Deutschlands nicht formal festzuschreiben. In den Koblenzer Beschlüssen wurden die von den Ministerpräsidenten geplante Lösung festgehalten, dass nur eine vorläufige Organisation staatlichen Handelns entschieden werden sollte. Die Besatzungsmächte lehnten dies jedoch ab.

Erst nach weiteren Konferenzen auf dem Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim und intensiven Verhandlungen mit den Besatzungsmächten einigten sich die Akteure darauf, ein räumliches und zeitliches Provisorium zu schaffen. In drei Sitzungsperioden erarbeiteten die elf westdeutschen Ministerpräsidenten und weitere politische Akteure zwischen dem 15. Juli und dem 31. August 1948 die Grundstrukturen für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Um eine deutsche Wiedervereinigung zukünftig nicht auszuschließen, waren staatsrechtliche Begrifflichkeiten von großer Bedeutung: Statt einer „Verfassungsgebenden Versammlung” sollte ein „Parlamentarischer Rat” zusammenkommen. Statt „Verfassung“ sollte der Begriff „Grundgesetz“ gewählt werden.

Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee

Auf die Niederwaldkonferenz folgte am 11. August der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, dessen Verfassungsentwurf maßgeblich die Ausarbeitung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat prägte.

Die Arbeit des Parlamentarischen Rat in Bonn

Der Parlamentarische Rat wurde im August 1948 durch die Landtage gewählt und trat am 1. September 1948 in Bonn zusammen. Unter den 65 Abgeordneten waren vier Frauen: Friederike Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Wessel und Helene Weber. Sie gelten heute als die „Mütter“ des Grundgesetzes. Zum Ratspräsidenten wurde Konrad Adenauer gewählt.

Artikel 3 zur Gleichberechtigung ist vor allem den „Müttern des Grundgesetzes“ zu verdanken: Friederike Nadig (SPD), Elisabeth Selbert (SPD), Helene Wessel (Zentrumspartei) und Helene Weber (CDU). Sie waren die vier einzigen Frauen von insgesamt 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz erarbeitete, 1949.

Nach neun Monaten Arbeit – exakt vier Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges – legte der Parlamentarische Rat am 8. Mai das Grundgesetz vor, das jedoch noch von der Genehmigung der Militärgouverneure der Westzonen und der Zustimmung durch die Länderparlamente abhing. Die Militärgouverneure bemühten sich um eine zeitnahe Ratifizierung, da Lucius Clay nach Amerika zurückkehren musste.

Frankfurt als Ort der Demokratiegeschichte: Die Militärregierung

Die Militärgouverneure

An der Spitze der Militärverwaltung in Deutschland standen die Militärgouverneure der drei westlichen Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich. Im Mai 1949 waren das Lucius D. Clay, Sir Brian H. Robertson und Pierre Kœnig.

Lucius D. Clay gehörte zu denjenigen, die schon 1945 von einer strengen Besatzungspolitik abrieten. Stattdessen förderte er eine exportorientierte Industriepolitik und die Bildung der Bizone, beschleunigte die Demokratisierung in seinem Zuständigkeitsbereich und war Initiator der Berliner Luftbrücke 1948/49.

Brian H. Robertson war ab Mai 1946 Stellvertreter des Militärgouverneurs, von November 1947 bis Mai 1949 Militärgouverneur der britischen Besatzungszone. In der zweitgenannten Funktion hatte er entscheidenden Anteil an der territorialen Konzeption des Landes Nordrhein-Westfalen.

Marie-Pierre Kœnig war nach Kriegsende von Juli 1945 bis September 1949 Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen in Deutschland und gleichzeitig Militärgouverneur der französischen Besatzungszone. Politisch engagierte er sich für die Vereinigung des Saargebietes mit Frankreich. Die Möglichkeit einer Demokratisierung Deutschlands sah er skeptisch.

General Lucius D. Clay, Oberbefehlshaber des EUCOM (Zweiter von rechts); General Pierre Koenig,
französischer Militärgouverneur (zweiter von links), und General Sir Brian H. Robertson, britischer
Militärgouverneur (Mitte), nehmen an einem Treffen der Militärgouverneure den Abgeordneten des Parlamentarischen Rats in Frankfurt am Main teil. 12. Mai 1949.

Zwar war Frankfurt am 10.05. nicht zum „vorläufigen Sitz“ von Parlament und Regierung gewählt worden, trotzdem war die Stadt ein wichtiger Schauplatz des Weges zum Grundgesetz.  Vor einer Delegation des parlamentarischen Rates unterzeichneten die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen, Lucius D. Clay (USA), Sir Brian H. Robertson (GB) und Pierre Kœnig (Frankreich) am 12. Mai 1949 das Grundgesetz im IG-Farbenhaus.

Eisenhower-Saal in der Universität Frankfurt. Bis Juli 1945 Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland, nutzte Eisenhower den Konferenzraum im ehemaligen IG-Farbenhaus als Büro und Sitzungssaal für öffentliche Empfänge.
AFN Europe – History of Abrams Building – IG Farben Building from 1993 – IG Farben 956
AFN Europe – The Abrams Building and the American Experience in Frankfurt – 1995 – IG Farben 1265
Abfahrt des ersten planmäßigen Nachkriegsschnellzugs „Frankfurt-Berlin“ nach Beendigung der
Berlin-Blockade, 11. Mai, 1949.

Am gleichen Tag, in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai, hatte die Sowjetunion die Blockade der drei Westsektoren Berlins beendet, die sogenannte Berlin-Blockade. Die Militärgouverneure waren zur Aufhebung der Blockade nicht mehr in Berlin, da sie sich auf den Weg nach Frankfurt gemacht hatten, um das Grundgesetz zu unterzeichnen. Während der Blockade war die Versorgung Berlins über eine Luftbrücke von Frankfurt aus sichergestellt worden.

Zustimmung der Länder

Zwischen dem 18. und dem 21. Mai wurde das Grundgesetzt von den Landtagen angenommen. Allein der bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz ab. Die Abgeordneten des Freistaats hatten einen stärkeren Föderalismus gefordert, akzeptierten aber die Gültigkeit der provisorischen Bundesverfassung, nachdem alle anderen Landtage zugestimmt hatten.

Unterzeichnung des deutschen Grundgesetzes, Bonn, 23. Mai 1949.

Die Unterzeichnung des Deutschen Grundgesetzes

So konnte der parlamentarische Rat in seiner Schlusssitzung am 23. Mai 1949 verkünden: 14 Monate nach dem Impuls zur Konstituierung des deutschen Weststaats war das deutsche Grundgesetz Realität. Damit war die Bundesrepublik gegründet.

Konrad Adenauer unterzeichnet das deutsche Grundgesetz, Bonn, 23. Mai 1949.

Nach Artikel 20 versteht sie sich als demokratischer und sozialer Bundesstaat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Recht und Gesetz gebunden. Seit der Wiedervereinigung gilt das Grundgesetz für das gesamtdeutsche Bundesgebiet.

Der hessische Ministerpräsident Christian Stock unterzeichnet das deutsche Grundgesetz, Bonn, 23. Mai 1949.

Bildquellen

  • Ehemaliges IG-Farben Gebäude, heute Uni Frankfurt: Wikimedia Commons, GFDL 1.2
  • Das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland im ehemaligen IG-Farben-Gebäude in Frankfurt a. Main, Frühjahr 1949: bpk-Bildagentur, Foto: Benno Wundshammer
  • Die „Mütter des Grundgesetzes“: Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
  • General Brian H. Robertson beim Empfang von General Lucius D. Clay auf der Rhein-Main Airbase, 1948: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, S7Z 1948/184, Foto: Kurt Weiner
  • General Lucius D. Clay (r) und General Pierre Koenig (l) am IG Farbenhaus: Mit freundlicher Bereitstellung durch John Provan, Foto: N.N.
  • Dei drei Militärgouverneure am 12. Mai 1949: Mit freundlicher Genehmigung der National Archives, Washington, D.C., Foto: N/A.
  • Eisenhower-Saal: Universitätsarchiv Frankfurt, Foto: Uwe Dettmar
  • Abfahrt des ersten Zuges Frankfurt-Berlin nach Beendigung der Berlin-Blockade: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, S7FR/335, Foto: Egon Matthes
  • Unterzeichnung des deutschen Grundgesetzes, Bonn, 23. Mai 1949: Mit freundlicher Genehmigung von John Provan, Foto: N.N.
  • Konrad Adenauer unterzeichnet das deutsche Grundgesetz, Bonn, 23. Mai 1949: Mit freundlicher Genehmigung von John Provan, Foto: N.N.
  • Hessischer Ministerpräsident Christian Stock unterzeichnet das deutsche Grundgesetz, Bonn, 23. Mai 1949: Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn