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Casino-Gesellschaft

Haus Burggarten

Die Casino-Gesellschaft Ober-Ingelheim ist ein Beispiel für politische Gruppen und Vereine im 19. Jahrhundert. Die Verbindung von Geselligkeit mit politischer Betätigung trug zur Entstehung einer demokratischen Zivilgesellschaft bei.


Mangels alternativer politischer Partizipationsmöglichkeiten boten Vereine aller Art den oppositionellen Kräften eine Möglichkeit zum Austausch und zur Vernetzung. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Politisierung breiter Bevölkerungsschichten und der Professionalisierung der liberalen und demokratischen Kräfte im Vormärz und darüber hinaus. Im Zuge der zunehmenden Unterdrückung oppositioneller Kräfte im Vormärz liefen viele Vereine Gefahr, verboten zu werden - vor allem, wenn sie einen eindeutig politischen Charakter hatten.

Die Ingelheimer Casino-Gesellschaft war ein solcher Verein. Zu ihren Gründern gehörte der spätere Paulskirchenabgeordnete und überzeugte Demokrat Martin Mohr. Der talentierte Jurist hatte schnell Karriere im hessischen Staatsdienst gemacht. Er war stark von den Idealen der Französischen Revolution und den „rheinischen Institutionen“ geprägt. Doch als die hessische Regierung in den 1830er Jahren einen zunehmend restaurativen Kurs einschlug, war der Konflikt mit der Obrigkeit vorprogrammiert. 1833 versetzte ihn sein Dienstherr in den Ruhestand, weil Mohr Verordnungen für ungültig erklärt hatte, die nicht gemäß der Verfassung dem Landtag vorgelegt worden waren. Mohr zog daraufhin nach Ingelheim, wo er einer Herrenrunde angehörte, die sich regelmäßig zum Gedankenaustausch traf. In dieser Runde wurde 1846 der Beschluss gefasst, eine Satzung für die Casino-Gesellschaft zu verfassen. Der Zweck der Gesellschaft wurde bewusst vage formuliert: Es ging darum, dem „geselligen Leben“ in Ober-Ingelheim einen (unabhängigen) Ort zu geben. Doch selbst diese vage Formulierung war noch zu politisch: Die Statuten wurden zwar vom Großherzoglichen Kreisamt in Bingen genehmigt, aber die Gesellschaft stand im Verdacht, revolutionäre Elemente in sich zu bergen.

Viele Jahre lang traf sich die Gesellschaft in gemieteten Räumen: zunächst in einem leerstehenden Haus am Neuweg, um 1848 in der Rinderbach(straße) und in der Stiegelgasse. In den 1850er Jahren stellte Mohr der Gesellschaft ein in seinem Besitz befindliches Gartengrundstück in der Rinderbachstraße 10 zum Kegeln zur Verfügung. 1865 mietete die Gesellschaft Räume im Eckhaus Döhn an der Ecke Rinderbach/Marktplatz als Vereinslokal und blieb dort 16 Jahre. Seit 1881 ist die Casino-Gesellschaft Eigentümerin des Hauses Burggarten, das sie für ihre Aktivitäten nutzt. 1888 wurde ein Veranstaltungssaal angebaut, der fortan als Ort der bürgerlichen Öffentlichkeit und Meinungsbildung diente. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurde die Casino-Gesellschaft verboten. Als Verein Haus Burggarten konnten Gebäude und Gelände jedoch gesichert werden. Der Verein versteht sich bis heute als unabhängiger Ort der Zivilgesellschaft.


zum Ort: Haus Burggarten e.V.

Adresse

An der Burgkirche 13
55218 Ingelheim am Rhein

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Das Haus Burggarten sowie das ehemalige Wohnhaus von Martin Mohr sind Teil des Netzwerkprojekts "Geist der Freiheit" der KulturRegion Frankfurt RheinMain.

Margarete Köhler, Ingelheimer Persönlichkeiten – Dr. Martin Mohr, Historischer Verein Ingelheim, zuletzt überarbeitet 2023 von Hartmut Geißler.