Staatsarchiv Bremen, 10.B-PK-437-1

Novemberrevolution 1918 in Bremen

Rathaus Bremen

In den ersten Novembertagen 1918 hatte in Bremen die Stunde der Arbeiter- und Soldatenräte geschlagen. Spontane Massenaktionen beseitigten die ständische Ordnung und bereiteten den Boden für eine parlamentarische Demokratie.


In den letzten Oktoberwochen 1918 hatte die Seekriegsleitung einen Flottenvorstoß gegen England geplant – eine gravierende Gefahr für die bereits laufenden Waffenstillstandsverhandlungen zur Beendigung des Ersten Weltkriegs. Die Besatzungen einiger Schiffe verweigerten ihre Befehle. Viele von ihnen wurden inhaftiert. An der Forderung nach ihrer Befreiung entzündete sich am 3. November der Kieler Matrosen- und Arbeiteraufstand. Die alte Ordnung fiel in sich zusammen, eine neue Ordnung war zunächst nicht absehbar.

Am 6. November erreichte die Revolution Bremen. Einfache Soldaten hatten von einem Gefangenenzug mit meuternden Matrosen im Bremer Hauptbahnhof gehört und beschlossen kurzerhand, die Kameraden zu befreien. In der Bremer Garnison bildete sich ein Soldatenrat. Neben den Matrosen aus Kiel schlossen sich den Soldaten auch Bremer Werftarbeiter an. Abends wurde vor dem Rathaus demonstriert; die Ergänzung des Soldatenrats durch einen Arbeiterrat war beschlossene Sache. Hastig improvisiert fanden bereits am 7. November Wahlen zu diesem Arbeiterrat statt. Beide Gremien verstanden sich zunächst als vorläufige Einrichtungen.

Ab dem 14. November 1918 war der nun vereinte Arbeiter- und Soldatenrat offiziell das höchste Beschluss- und Vollzugsorgan der Freien Hansestadt. Senat und Bürgerschaft, also Regierung und Parlament, wurden suspendiert. Damit hatten die Räte die überkommene ständische Verfassung der Hansestadt mit den auf Lebenszeit gewählten Senatoren und einer nach acht Klassen gewählten Bürgerschaft beseitigt. Das ikonische Bild mit der Roten Fahne am Balkon des Rathauses zeigt die Verkündung der Machtübernahme durch den Arbeiter- und Soldatenrat in Bremen am 15. November 1918.

Auch andernorts griffen unzufriedene Soldaten und Vertreter der bis dahin politisch benachteiligten, aber mitgliederstarken Arbeiterbewegung auf die basisdemokratische Organisationstechnik der Räte zurück. Vor Ort wurde so der Übergang zu einer neuen politischen Ordnung in die Wege geleitet und gleichzeitig der Alltag organisiert sowie die öffentliche Sicherheit wiederhergestellt. Aber auch Grundsatzfragen der Ausgestaltung der neuen Ordnung wurden diskutiert: Sollten in Zukunft Wahlen nach dem Mehrheits- oder dem Verhältniswahlrecht stattfinden? Gehörten auch Nicht-Arbeiter zum stimmberechtigten Wahlvolk? War nach der Umwälzung der politischen Ordnung auch die Umwälzung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse notwendig? Die Ergebnisse der Neuwahl des Arbeiter- und Soldatenrats im Januar 1919 zeigten die tiefe Spaltung dieses Gremiums und der gesamten Bremer Arbeiterbewegung in reformistische, kommunistische und andere radikale Kräfte. Durch Mehrheitsbeschluss wurde die gemäßigte, sozialdemokratische Minderheit umgehend aus dem Rat ausgeschlossen. Die am 10. Januar ausgerufene „selbständige sozialistische Republik“ in Bremen sah das Rätesystem als politische Dauerlösung vor, um so die Revolution fortzusetzen. An die Stelle der überkommenen Behörden und Verwaltungsgremien traten neu eingerichtete Volkskommissariate. Dieser Versuch des linken Flügels der Bremer Arbeiterbewegung, den eigenen politischen Machtanspruch durchzusetzen, scheiterte bald: Die Banken stellten den Zahlungsverkehr von und nach Bremen ein; am 4. Februar schlugen von der sozialdemokratischen Reichsregierung entsandte Truppen das Politikexperiment blutig nieder. Nach einer Schwächephase im November 1918 demonstrierten die konservativen Kräfte im Militär und die Privatwirtschaft so ihre politische Handlungsfähigkeit.

Nach der doppelten Erfahrung des durch die Räte ausgelösten Demokratisierungsschubs im November 1918 und des Scheiterns der „selbständigen sozialistischen Republik“ im Februar 1919 setzte sich das Prinzip der Gewaltenteilung und der parlamentarischen Parteiendemokratie endgültig durch. Wer in Bremen fortan legitime Macht ausüben wollte, bedurfte dazu einer Mehrheit der von allen erwachsenen Bremern gewählten Abgeordneten.

Für das Rathaus in Bremen war die Novemberrevolution 1918 nur eine kurze Episode in seiner langen Geschichte. 2004 wurde es mit dem Roland in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. In der Begründung wird vor allem auf die lange Geschichte und die Authentizität hingewiesen, die das Ensemble über alle Umbauten und Erweiterungen hinweg aufrechterhalten hat. Das Rathaus wurde als ein Zeugnis für die Entwicklung von bürgerlicher Autonomie und Marktrechten, von Souveränität und kommunaler Selbstverantwortung ausgezeichnet. Die zur UNESCO-Entscheidung eingereichten Gutachten behaupten außerdem, dass die alteuropäischen, bürgerschaftlichen Stadtrepubliken wie Bremen einen Grundstein für Formen moderner Demokratie legten.

In Zusammenarbeit mit: Staatsarchiv Bremen / J. Brinkhus

Adresse

Am Markt 21
28195 Bremen