Den werktätigen Frauen
Paula Thiede
* 06.01.1870 in Berlin † 03.03.1919 in Berlin
Paula Thiede repräsentiert jene in der Arbeiterbewegung zentralen Frauen, die selbst der Arbeiterschaft entstammten. Als erste Frau führte sie eine reichsweit organisierte Gewerkschaft und stritt für die gewerkschaftliche Gleichberechtigung , eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeiterinnen und das Frauenwahlrecht in Deutschland.
Die Organisation war ein Teil von ihr selbst. Als Pauline Philippine Auguste Berlin in einem Arbeiterhaushalt aufgewachsen, begann Paula Thiede mit 14 Jahren als Buchdruckerei-Hilfsarbeiterin zu arbeiten. Um gegen das soziale Elend ihrer „Klasse“ anzukämpfen, trat sie 1891/92 dem Verein der Arbeiterinnen an Buchdruck-Schnellpressen bei. Diese reine Frauengewerkschaft gründete wenige Jahre später den gemischtgeschlechtlichen Verband der Buch- und Steindruckerei-Hilfsarbeiter und -Arbeiterinnen (VBHi) mit. Thiede übernahm den Vorsitz jenes Zentralverbandes und behielt dieses Amt zwanzig Jahre bis zu ihrem Tod.
Thiede war zwar in das Engagement sozialdemokratischer Frauen involviert, aber eine sozialistische Revolution scheint nicht der Kern ihres Wirkens gewesen zu sein. Ihre Lebensaufgabe – und ihr damit verbundenes Engagement für das Frauenwahlrecht – lag in der materiellen und sozialen Sicherung von Arbeiterinnen in der Gegenwart. Dafür setzte sie auf die gewerkschaftliche Interessenvertretung von Frauen, was zeitgenössische Rollenbilder infrage stellte und innerhalb der Gewerkschaftsbewegung selbst Protest hervorrief.
Dennoch hatte Thiede Erfolg: Ihr Verband, der VBHi, schuf mehrere Emanzipationsmechanismen, die über die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen an Verbandsfunktionen hinausgingen. So konnten Arbeiterinnen trotz Heirat – und dem damit einhergehenden Verlust ihres Arbeitsplatzes – Mitglied im VBHi bleiben und Hilfe erhalten, etwa wenn sie als gewordene Mütter ein für diese Zeit einzigartiges Unterstützungsgeld erhielten. Nicht zuletzt schärfte die Arbeit Paula Thiedes und ihres Verbandes auch das Bewusstsein arbeitender Männer für die mehrfachen Belastungen von arbeitenden Frauen.
Die Gewerkschaft Paula Thiedes wurde so zu einer Plattform, über die Frauen der vorbestimmten häuslichen Sphäre zu entkommen vermochten. Denn letztlich gingen die Strategien zur Selbstermächtigung und politischen Teilhabe von Frauen über das konkrete Handeln im Rahmen der Gewerkschaftsarbeit hinaus. Mehrere weibliche Angehörige des VBHi waren während der Weimarer Republik politisch aktiv, ob auf der Kommunalebene in Berlin, im preußischen Landtag oder der Weimarer Nationalversammlung.