Deutsches Historisches Museum

Vorkämpferin der sozialen Wohlfahrtspflege

Marie Juchacz

15.03.1879 - 28.01.1956

„Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass eine Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf […] Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Mit diesen Worten setzte die Sozialdemokratin Marie Juchacz am 19. Februar 1919 gleich mehrere Meilensteine: Mit ihrer Rede wandte sie sich nicht nur als erste Frau an das erste demokratisch gewählte reichsweite Parlament, sie selbst war – mit 36 weiteren Parlamentarierinnen – Pionierin als weibliche Abgeordnete in der verfassungsgebenden Weimarer Nationalversammlung, dessen Zusammensetzung sich nicht zuletzt dem eingeführten Frauenwahlrecht verdankte.


Juchacz hatte gewichtigen Anteil an dieser Öffnung der Politik für Frauen. Gleichzeitig redete hier eine Frau, die selbst das Streben einer gesellschaftlichen wie politischen Emanzipation verkörperte: In ärmlichen Verhältnissen groß geworden, seit ihrem 14. Lebensjahr berufstätig, 1905 geschieden, zog sie als Alleinerziehende nach Berlin, um politisch aktiv zu werden. 1908, sofort nach der Aufhebung des Verbots, dass Frauen nicht in politischen Parteien aktiv werden durften, trat Juchacz in die SPD ein. Hier mobilisierte sie Arbeiterinnen als mitreißende Rednerin, aber auch als Fürsorgerin. Von Friedrich Ebert wurde Juchacz 1917 auch in den Zentralen Parteivorstand der SPD geholt, als Frauensekretärin beerbte sie hier Clara Zetkin.

Die soziale Frage wurde Marie Juchacz’ demokratisches Kernanliegen, als Abgeordnete stritt sie etwa im Reichstag für die Einführung einer sozialen Mindestversorgung. Bis heute ist ihr solidarisches Engagement wirkmächtig durch ihre Gründung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Dezember 1919. Dieser Verband wuchs rasch an und zählte bald über 100.000 freiwillige Helfer und tausende Ortsgruppen. Wie so viele Sozialdemokratinnen und -demokraten floh Juchacz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933, setzte ihre Sozialarbeit jedoch im Exil fort und kehrte 1949 zurück, um die AWO wieder aufzubauen.