Tourist-Information St. Goar

Sankt Goar-Kreis

Burg Rheinfels

Vom 24.-26. September 1948 tagten 29 hochrangige Politiker und Funktionäre auf Burg Rheinfels. Ihr Ziel: Grundlegende parteiübergreifende Empfehlungen für die Arbeit des Parlamentarischen Rats zu geben, die der „Aktivierung der Demokratie“ dienten.


Die westlichen Besatzungsmächte hatten den elf westdeutschen Ministerpräsidenten aufgetragen, eine verfassungsgebende Versammlung zur Konstituierung eines Weststaates einzuberufen. Damit wäre die deutsche Teilung, die 1948 faktisch bereits vollzogen war, auch formal festgeschrieben worden. Nach mehreren Konferenzen im Hotel Rittersturz bei Koblenz und auf dem Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim einigten sich die Ministerpräsidenten mit den Besatzungsmächten darauf, dass mit der Einrichtung des Weststaates lediglich ein räumliches und zeitliches Provisorium geschaffen würde. Ein von Ländervertretern und Experten auf der Herreninsel im Chiemsee erarbeiteter Verfassungsentwurf diente dem am 1. September zusammengetretenen Parlamentarischen Rat als Vorlage für die Erarbeitung des Grundgesetzes.

Politik war in der unmittelbaren Nachkriegszeit „selbstverständlich“ Männersache. In Koblenz stand mit der kommissarischen Bürgermeisterin von Berlin, Louise Schroeder, wenigstens eine Frau in der ersten Reihe. In Niederwald und auf Herrenchiemsee waren sie höchstens als Sekretärinnen oder Begleiterinnen dabei. Im Parlamentarischen Rat waren von 65 Abgeordneten nur vier weiblich. Daher überrascht es nur wenig, dass sich drei Wochen nach Konstituierung des Parlamentarischen Rats in Sankt Goar 29 Männer trafen, um über die „Aktivierung der Demokratie“ zu reden. Mit Theodor Heuss (FDP, später der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland), Thomas Dehler (FDP, später Bundesjustizminister) und Walter Strauss (CDU, später Staatssekretär im Bundesjustizministerium) gehörten drei von ihnen auch dem Parlamentarischen Rat an. Alle anderen waren als Parteivertreter oder als Funktionäre eingeladen. Die Runde war eher konservativ und süddeutsch geprägt: Lediglich drei Teilnehmer waren SPD-nah oder SPD-Mitglieder, drei Teilnehmer stammten aus dem Kreis der FDP. Die überwiegende Mehrzahl gehörte zum Umfeld der CDU/CSU. Mindestens sechs Teilnehmer hatten enge Verbindungen zur Großindustrie; kein Vertreter kam aus einem gewerkschaftsnahen Umfeld. Zwei Teilnehmer kamen aus Berlin, drei aus Köln und Mülheim/Ruhr, alle anderen aus Süddeutschland. Repräsentativ für die Nachkriegsgesellschaft war die Teilnehmerrunde vermutlich nur in der Hinsicht, dass hier Menschen, die vom NS-Regime verfolgt worden waren, unmittelbar auf Personen trafen, die im nationalsozialistischen Staat mitgewirkt hatten. In diesem Kreis diskutierten sie Anregungen für die Ausarbeitung des Grundgesetzes.

Anders als in den vorangegangenen Zusammenkünften der Ministerpräsidenten ging es nicht primär um grundsätzliche Fragen der Staatlichkeit des Weststaates, sondern um praktische Aspekte der Staatsorganisation. Ein wichtiges Thema war, Lehren aus der Zerstörung der Weimarer Republik zu ziehen. Der Sankt Goar-Kreis stellte fest, dass eine stabile Demokratie vor allem eine handlungsfähige Regierung brauche. Sie signalisierten damit ihre Unterstützung für das geplante „konstruktive Misstrauensvotum“, wonach eine Regierung nur dann vom Parlament gestürzt werden kann, wenn gleichzeitig eine Mehrheit für eine neue Regierung vorhanden ist. Gleichzeitig betonten sie: „Die Opposition im Parlament ist als eine in der Demokratie notwendige Funktion anzuerkennen.“

Das doppelte Bekenntnis für eine starke Regierung und eine starke Opposition war ein wichtiges Signal der Unterstützung für die Arbeit des Parlamentarischen Rats und eine grundlegende Bejahung der parlamentarischen Demokratie. Gerade weil es von einer konservativen Runde kam, die enge Verbindungen zu Großunternehmen hatte, war dieses Signal besonders wertvoll. Waren es doch gerade diese Kreise gewesen, die der jungen Weimarer Republik wenige Jahre zuvor die Unterstützung versagt hatten – was vielleicht der größte Geburtsfehler der ersten deutschen Republik war.

Der Sankt Goar-Kreis trug maßgeblich dazu bei, diesen historischen Fehler für die Bundesrepublik zu korrigieren.